Die international tätige Fotografin Hélène Binet hält seit nunmehr 25 Jahren die Bauten berühmter Architekten mit ihrer Kamera, vorwiegend in Schwarz-weiß, fest. Eine Ausstellung im Bauhaus-Archiv Museum für Gestaltung in Berlin zeigt einige Schlüsselmomente ihrer künstlerischen Laufbahn neben bisher öffentlich noch nie gezeigten jüngeren Arbeiten. Ihre erste museale Einzelausstellung hat sie selbst konzipiert mit Fotos von Bauten der bekannten Architekten John Hejduk, Le Corbusier, Peter Zumthor sowie der Architektin Zaha Hadid. Diese vier wählte Binet aus ihrer gesamten Schaffensperiode für die Hängung aus, denen sie je ein Gegenüber – das eines Architekten oder einer Landschaft – zugesellte. Bevor sie auf den Auslöser drückt, setzt sie sich tagelang vor Ort mit einem Gebäude auseinander. Durch diese Art der Entschleunigung erreicht sie eine intensivierte Wahrnehmung, die in einer immer schnelllebigeren Welt beinahe provokativ wirkt…
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Wie subversiv ist Chinas Lyrik?
Die chinesische Dichtkunst verfügt über eine 3000 Jahre alte Lyriktradition. Wie keine andere hat sie in den letzten Jahren Einflüsse aus anderen Sprachen aufgenommen und sich dabei ebenso rasant verändert wie ihr Land. Das 16. Poesiefestival in Berlin fragte nach dem kreativen Potential der zeitgenössischen chinesischen Lyrik, die über ein breites Arsenal subversiven Sprachgebrauchs, mal subtil, mal konfrontativ, mal satirisch, verfügt. LyrikerInnen aus dem Exil und aus China zeigten, wie daraus Gedichte von erstaunlicher Schlagkraft entstehen. Vier Beispiele finden Sie in diesem Heft, dazu im Vergleich auch die Texte von zwei deutschen DichterInnen…
Das verlorene Paradies Paul Gauguins
„Ich bin ein Wilder, und die Zivilisierten spüren das“, schrieb Paul Gauguin (1848-1903) über sich und über die Kunst: „… nicht das System macht das Genie. Bei aller Beachtung der bisherigen Anstrengungen und Bemühungen, sogar auch der wissenschaftlichen, war es also nötig, an eine vollkommene Befreiung zu denken…“. Er entflieht der europäischen Zivilisation in ferne Länder, um das Ursprüngliche in der Kunst, die er sucht und findet, mit dem Ursprünglichen des Lebens zu verbinden. Eine hochkarätige Schau in Basel zeigt sowohl Gauguins vielseitige Selbstporträts, als auch die visionären und spirituellen Bilder aus seiner Zeit in der Bretagne. Im Vordergrund stehen vor allem seine weltberühmten, auf Tahiti entstandenen Gemälde. In ihnen feiert der Künstler seine Idealvorstellung von einer unversehrten exotischen Welt und verbindet darin Natur und Kultur, Mystik und Erotik, Traum und Wirklichkeit. Kein Künstler hat auf der Suche nach sich selbst und einer neuen Kunst einen weiteren und abenteuerlicheren Weg auf sich genommen als Paul Gauguin….
Die Epigonen eines Jahrhundertgenies
Picasso verkörpert wie kein anderer Künstler die Kunst des 20. Jahrhunderts. Er wurde bewundert, aber auch gehasst. Man feierte, studierte und kopierte ihn. Das Spiel mit dem Vorbild, mit den großen Vorläufern der eigenen Gattung hat diesen selbst bis zuletzt umgetrieben. Seine originäre Art spinnt eine Hamburger Ausstellung bis heute weiter: Alle seine großen Themen und Schaffensphasen spiegeln sich in den Werken der Künstler, die sich mit dem vielgestaltigen Œuvre des berühmten Spaniers, aber auch mit seiner Person selbst auf über 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche auseinandersetzen. Künstler wie Martin Kippenberger oder David Hockney, Hanne Darboven, John Stezaker oder Cindy Sherman verfolgen grundlegend unterschiedliche künstlerische Ansätze und reagieren doch alle gleich intensiv auf Picassos epochales Werk. Besonders aktuell und imposant erscheinen allein sechs monumentale Guernica-Interpretationen, die den Kern der Schau bilden. Vom irakischen Künstler Dia Al-Azzawi, der 1982 das Massaker an Palästinensern in libanesischen Flüchtlingslagern verarbeitet über Leon Golup, der sich auf die Gräuel des Vietnamkriegs bezieht, bis zu Thomas Zipps außergewöhnlicher Interpretation, welche die Guernica-Version in ein Sinnbild der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit verwandelt….
Pulitzerpreisträgerin Anja Niedringhaus
Es sind Bilder jenseits von spektakulären Situationen, die Geschichten von Menschen im Krieg erzählen. Sie spiegeln Gefühle wie Trauer, Angst, Enttäuschung, Zuneigung und Begeisterung, daneben Leid, Gewalt, Zerstörung und Tod, denen die Betroffenen permanent ausgeliefert sind. Die eigentlichen Dramen der brutalen Zerstörung bleiben dabei im Hintergrund – so das Foto eines italienischen Soldaten, der 2003 im Irak einsam und erschüttert auf dem Gelände einer Kaserne steht, auf dem sechzehn seiner Kameraden und acht irakische Zivilisten durch ein Selbstmordattentat ums Leben kamen. Unsicher und sorgenvoll sind die Gesichter der Soldaten, die sich in Falludscha vor einer Schlacht zum Gebet versammelt haben. Die Aufnahme verdeutlicht, dass jeder von ihnen schon in diesem Augenblick die existenzielle Einsamkeit spürt, der er im Gefecht ausgeliefert sein wird. Bis heute halten die Bilder der Kriegsfotografin Anja Niedringhaus, die 2014 in Afghanistan erschossen wurde, die weitreichenden Auswirkungen der Kriegs- und Krisenregionen unserer Welt wach….
Cindy Shermans inszenierte Selbstporträts
Ihre Fotografien sind aus keiner wichtigen Sammlung mehr wegzudenken. Mit ihren Selbstporträts prägt sie die künstlerische Fotografie und den Kunstmarkt seit Jahrzehnten. Ihren eigenen Körper als Bildträger benutzend adaptiert Cindy Sherman weibliche Rollenbilder aus Filmen, Modemagazinen, der Werbung oder der Kunstgeschichte. Vor drei Jahren widmete ihr das MoMa in New York eine große Retrospektive. Die Sammlung Goetz, die umfangreiche Werkgruppen aus fast allen Schaffensphasen besitzt, zeigt in der über zwei Etagen angefüllten Ausstellung die Entwicklung der Künstlerin in den vergangenen vierzig Jahren. „Ich war ein Kind, das immer fernsah und dabei etwas anderes machte“, erklärt Sherman. So manifestiert sich bereits früh eine Obsession für Verkleidung und Maskerade, die sie später während ihres Studiums am State University College in Buffalo weiterverfolgt. Mitte der Siebziger Jahre eröffnet sie ihre Bühne mit einer Serie von Schwarzweiß-Fotografien weiblicher Rollenbilder – vom trotzigen Kind über die Sekretärin bis zum Marlene-Dietrich- Typ. Ähnlich wie eine Schauspielerin inszeniert sie sich von da an in unterschiedlichen Rollen vor der Kamera, setzt sich mit weiblichen Rollenbildern und deren Klischees auseinander….
Die Zukunft des Anthropozäns
Das Deutsche Museum in München widmet sich bis Januar 2016 mit einer großen Sonderausstellung „Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde“ der in der Wissenschaft brennenden Frage, ob die vom Menschen initiierten Veränderungen geologisch, technologisch und evolutionär langfristig und so tiefgreifend sind, dass das Menschenzeitalter bereits am Beginn eines neuen Erdzeitalters steht. Am Eingang des 1400 Quadratmeter großen Ausstellungsraums führen Filme in die Themen des Anthropozäns ein. Wie verändert die Verstädterung die Erde, wie das Reisen? Welche Rolle spielen Digitalisierung und künstliche Intelligenz? Wie formt der Mensch die Natur um, wie produziert er seine Lebensmittel, wie greift er in die Evolution ein? Spielerisch versucht die Ausstellung das Thema begreifbar zu machen: Technische Objekte werden mit künstlerischen Ausdrucksformen kombiniert. So ist ein gehäkeltes Korallen-Riff ebenso zu sehen wie ein Modell der „Clock of the Long Now“, einer Uhr, die die Zeit in den nächsten 10.000 Jahren anzeigen soll. Aber auch Roboter und lebende Pflanzen sowie Satellitenbilder der menschengemachten Erde lassen sich auf dem Rundgang entdecken. Auf einem riesigen Feld mit rund 1000 Papierblumen können BesucherInnen selbst ihre Zukunftsvisionen hinterlassen. So lautet etwa ein Eintrag: „Wir stehen am Wendepunkt für die Menschheit und die Erde. Es liegt allein an uns, ob wir eine gute Zukunft schaffen oder es unterlassen.“ Anlässlich des Welttags der Poesie lasen LyrikerInnen in einer Performance ihre Gedichte zum jeweiligen Themenkomplex – nachzulesen im Heft 2, 2015….
Sigmar Polkes Alibis
Gleich drei große deutsche Künstler sind in der britischen Hauptstadt derzeit mit Einzelausstellungen vertreten: Gerhard Richter, Anselm Kiefer in der Royal Academy of Arts sowie Sigmar Polke in der Tate Modern mit rund 300 Werken – eine Schau der Superlative. Sie wird vom 14. März bis 5. Juli auch im Kölner Museum Ludwig Station machen. Sigmar Polke (1941-2010), der am teuersten gehandelte deutsche Künstler nach Gerhard Richter, zählt – neben diesem und Blinky Palermo – zu den experimentierfreudigsten Künstlern hierzulande. Einen Eindruck davon vermittelt die mediale Vielfalt seiner Exponate (siehe oben das Titelbild von Heft 1/2015) die scheinbar alles hinterfragen und reflektieren, um gängige Sichtweisen zu durchkreuzen: nicht nur in seinen Gemälden, die ihn international berühmt gemacht haben, sondern auch mit den Filmen, Skulpturen, Installationen, Grafiken, Fotografien und Editionen aus den Jahren 1963 bis zu seinem Tod. Inspiriert wird Polke Mitte der sechziger Jahre von der amerikanischen Pop-Art und den oft kleinbürgerlichen Gewohnheiten der Nachkriegsgesellschaft. So karikiert er das damals gängige Wohnzimmer-Accessoire der Deutschen, den beliebten Gummibaum, mit seiner Skulptur aus einem Zollstock, der sog. „Zollstockpalme“….
Kitsch oder Kult?
Am US-Künstler Jeff Koons scheiden sich immer noch die Geister. Seit 35 Jahren lotet der poppigste Künstler der Gegenwart die Grenzen zwischen Elite- und Massenkultur spielerisch aus, verwandelt banale Alltagsgegenstände wie Aufblastiere oder Staubsauger in Kunstgegenstände. In den 1980er Jahren kreiert er die realen Dinge noch wie Readymakes à la Marcel Duchamp, später lässt er Skulpturen nach der Vorlage von Nippesfiguren und Kinderspielzeug aus Holz, Porzellan oder verchromtem Stahl aufwendig und in vergrößertem Maßstab anfertigen… Ein überlebensgroßes Denkmal aus vergoldetem Porzellan hat Koons dem Superstar Michael Jackson und seinem Haus-Schimpansen Bubbles gewidmet. Der Künstler bewunderte den Sänger, der „absolut alles unternahm, um sein Publikum zu erreichen“. Da dieser die weiße Mittelklasseschicht erobern wollte, hält Koons auch dessen plastische Gesichtsoperation und Maßnahmen der Hautaufhellung für legitim: „Diese Radikalität, diese Abstraktion!“…
The Image as Burden
So lautet der Titel einer Londoner Ausstellung, der zugleich ein Schlüsselwerk der Südafrikanerin Marlene Dumas ist. Geboren 1953 in Kapstadt wächst sie als weißes Kind zu Zeiten der Apartheid auf. Das Thema der weißen Schuld als Folge der Kolonialgeschichte steht im Zentrum ihres Lebens und der Kunst. Über die Zeit ihres Studiums der Malerei an der Universität Kapstadt sagt sie: Es war klar, dass wir uns als Weiße an einer Kunstschule In einer extrem privilegierten Situation befanden. Politisches Bewusstsein und kritische Selbstreflexion waren Pflicht. Doch es engte mich auch ein… Die politische Gewalt des Apartheid-Regimes und die von Rassismus bestimmte Umwelt traumatisierten die Künstlerin. In ihrer schrecklich-schönen Kunst scheint sie das Trauma zu begleiten und der Versuch, es zu verarbeiten… Dumas‘ Kunst geht unter die Haut. Die Künstlerin lässt Farbe häufig mit sehr viel Wasser zerlaufen, um sie dann mit dem Pinsel zu bearbeiten, bis sich die Formen konkretisieren: Augen, Gesicht und Körper malt sie rasch mit expressivem Gestus, der ihre Arbeiten so wild und ausdrucksstark macht…